Medienethik – was ist das?

Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate haben gezeigt, wie wichtig Qualitätsjournalismus und eine faktenbasierte Berichterstattung sind, die aktuelle Geschehnisse nicht eskalieren lassen und Menschen schützen, anstatt sie zu gefährden.

Falsche Tatsachen plakativ zu verbreiten um Klicks zu erhaschen, hetzerische und den Persönlichkeitsschutz verletzende, aber auch verharmlosende oder herablassende Meldungen haben in unserer Zeit nichts mehr zu suchen. Seriöse und informative Berichterstattung braucht einen verantwortungsvollen Umgang.

Wir haben bei unseren ChefredakteurInnen nachgefragt: Wie weit dürfen/sollen Medien gehen? Wo sind die Grenzen der ethischen und moralischen Kriterien, und wer beurteilt diese? Wonach wird entschieden, was gezeigt wird und was nicht? Gibt es Anlässe, die einem solche Entscheidungen schwer machen?

Mit medienethischen Fragen sollte man sich idealerweise schon vorher, in einer „ruhigen“ Minute, auseinandergesetzt haben. Und nicht erst dann, wenn jede Minute zählt – wie das etwa beim Attentat in Wien rund um den Schwedenplatz der Fall war. Wir diskutieren in der Redaktion natürlich viele Sachen, durchaus auch kontrovers. Aber im Fall des Attentäters etwa war von vornherein klar: kein Name, kein Foto. Und in der Folge auch keine Videos vom Tathergang auf unserem Onlinekanal. Eine Grundsatzentscheidung, die ebenso auf die Berichterstattung rund um Kinder zutrifft. Hier wird verpixelt, es sei denn, es sind Kinderstars auf dem roten Teppich.

Kathrin Gulnerits
Chefredakteurin NEWS
www.news.at

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Keine Bühne für die Täter

Es gibt Themen, die gar keine langen Debatten brauchen, sie sind absolut klar – zumindest sollten sie das sein. Es darf nicht umstritten sein, ob Videos (oder Fotos), die einen islamistischen Attentäter zeigen, wie er auf Menschen schießt, etwas auf Onlineplattformen von Tageszeitungen oder deren TV-Kanälen zu suchen haben oder nicht. Das ist schlicht ein No-Go! Es reicht schon, wenn Leute auf Social Media solche Videos teilen. Das ist leider schwieriger zu unterbinden – und eine der großen Schwachstellen von Facebook und Co. Aber bei verlegerischen Medien ist diese Verantwortung ohne Wenn und Aber wahrzunehmen.

Dass in der Nacht des Wiener Terroranschlags Boulevardmedien Live-Videos der Tat zugänglich gemacht haben, zeugt nicht nur von mangelndem Respekt gegenüber den Opfern, sondern bietet dem Täter auch die gewünschte Bühne: exakt das, was diese Irren mit ihren Gräueltaten erreichen wollen. Je leichter es ihnen gelingt, umso größer die Gefahr von Nachahmern.

Der Herausgeber einer Zeitung entschuldigte sich später damit, man habe eingesehen, dass es offenbar in Österreich „eine andere Betroffenheit als in anderen Teilen der Welt“ gibt. Heißt das, wir sind ein Volk von Sensibelchen, dem man nicht zumuten kann, was anderswo normal ist? Das klingt ähnlich zynisch wie die Rechtfertigung des Chefredakteurs eines anderen Blatts, man habe die Videos online gestellte, „um die Bedrohungslage zu unterstreichen“.

Die heimische Politik dürfte jedenfalls nicht allzu sensibel sein. Während mehrere Lebensmittelhandelskonzerne reagierten, indem sie bei der Werbung in den beiden hauptbetroffenen Zeitungen Konsequenzen zogen, sah die Bundesregierung keine Veranlassung, ihre wegen der Coronakrise im Moment recht zahlreichen Inserate erst einmal zu stoppen (wobei der Grünen da wohl nicht viel mitzureden hatten). Darüber sollte man vielleicht einmal nachdenken.

Der trend. hat leicht reden, das stimmt. Als wöchentliches Wirtschaftsmagazin gehören Liveberichterstattung und die minutiöse Information über ein Terrorattentat für uns nicht zum journalistischen Handwerk. Das passt weder zur Marke noch zu den Erwartungen unserer LeserInnen. Aber es geht auch bei Massenblättern anders. „Heute“ hat gezeigt, dass Augenmaß auch bei Boulevardmedien möglich ist.

Andreas Lampl
Chefredakteur trend.
www.trend.at

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Wir appellieren an einen verantwortungsvollen Umgang mit Informationen und daran, sich gegebenenfalls den Ehrenkodex des Presserats noch einmal zu Gemüte zu führen. »