VGN Talking Point: schöne neue Arbeitswelt

Pressekonferenzen mit Zoom, keine Dienstreisen, Home-Office. Was man früher für unmöglich gehalten hat, war in den letzten Wochen ganz normal.

Wir haben bei unseren ChefredakteurInnen nachgefragt:
Werden die gemachten Erfahrungen zu einem dauerhaften Wandel in der Arbeitswelt führen? Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Was sind aus eurer Sicht die Vor- und Nachteile? Wird ein Mix funktionieren? Verändern sich die Unternehmenskultur(en) in der neuen Realität?

Das Beste aus beiden Welten

Es gibt sie: jene, die den Tag der Rückkehr ins Büro nicht erwarten konnten. Warum auch immer. Vielleicht, weil sie daheim nicht die (technischen) Ressourcen haben, die sie für ihre Arbeit brauchen. Weil sie sich zu Hause einsam fühlen. Weil die Familie nervt. Oder weil sie feste Strukturen brauchen, um in die Gänge zu kommen, und sich schwer damit tun, den Tag selbst zu strukturieren.

Diversen Umfragen zufolge sind das aber weit weniger Menschen, als man meinen möchte. Laut einer Studie von TQS Research & Consulting würden fast zwei Drittel der Befragten, die Home-Office machten, künftig öfter von zu Hause aus arbeiten, wenn sie dürften (Quelle: „Die Presse“, 14. Mai 2020). Auch wenn dadurch die Grenzen zwischen Berufs- und Arbeitsleben zu verschwimmen drohen.

Was mich betrifft, lassen sich diese Grenzen ohnedies nicht ziehen. Ich profitiere ganz klar von der Möglichkeit, „mein“ Magazin größtenteils von zu Hause aus produzieren zu können: Die lange Fahrt zum Arbeitsplatz zweimal täglich fällt weg, das spart bis zu zwei Stunden Zeit (Nerven sowieso) und schont die Umwelt. Ich bin daheim trotz Familie weit weniger abgelenkt als im Büro, kann mich besser konzentrieren und Pausen effektiver nutzen. Die einzigen Dinge, die ich in meinem Privatarbeitszimmer brauche, sind – neben absoluter Ruhe – ein Laptop und mein Handy, Stift und Papier.

Ich meine: Je kreativer jemand arbeiten soll, desto mehr Selbstbestimmung braucht er. Für mein Produkt ist es völlig unerheblich, wo und wie es entsteht. Ob ich diesen Text werktags um elf Uhr in der Redaktion, nachmittags auf dem Wohnzimmersofa oder vielleicht sonntags im Kaffeehaus getippt habe, werden Sie nie wissen (außer ich nehme absichtlich darauf Bezug). Vielleicht habe ich das Konzept dafür beim Frühstück auf der Terrasse gemacht und mich später an den Laptop gesetzt. Was zählt, ist nur, dass Sie ihn jetzt lesen können.

Das bringt mich zum nächsten Punkt: Ich finde Umgebungswechsel beim Arbeiten sehr inspirierend. Ich bin weder Stadt- noch Landmensch, sondern beides. Die Geschäftigkeit der City, die Kraft der Natur – beides nährt meine Seele. Ich liebe daher mein Home-Office im Wiener Speckgürtel ebenso wie das Redaktionsbüro in der pulsierenden Innenstadt. Luxus, klar.

Ich möchte auf meinen Arbeitsplatz im Verlagsgebäude aber auch deshalb nicht verzichten, weil mir mein Zimmer dort das schöne Gefühl gibt, wo „hinzugehören“ und trotz (oder besser aufgrund!) meines Einzelkämpferdaseins Teil eines größeren Ganzen zu sein. Außerdem kann einem daheim auch die Decke auf den Kopf fallen.

Für die Möglichkeit, zwischen Home-Office und Redaktion switchen zu können, bin ich dankbar. Es setzt großes Vertrauen in die MitarbeiterInnen voraus – und Weitsicht. Arbeitsstunden penibel zu kontrollieren oder auf bestimmte Anwesenheitszeiten zu pochen dürfte aber ohnedies ein Auslaufmodell sein. Wie soll ein „Nine to five“-Job im Großraumbüro zu etwas anderem führen als zu 08/15-Ergebnissen? Ich bin überzeugt davon: Je freier und selbstbestimmter jemand arbeiten darf, umso besser wird sein Output sein.

In diesem Sinn wünsche ich mir neben dem Pendeln zwischen Redaktion und Home-Office zudem ein kleines Strandhaus mit W-LAN am Meer. Beste Bedingungen für beste Produkte. Und wenn nicht jetzt groß denken – wann dann?

Kristin Pelzl-Scheruga
Chefredakteurin LUST aufs LEBEN
www.lustaufsleben.at

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Social Distancing bringt die Wirtschaft um

Vom Home-Office habe ich persönlich nach über zwei Monaten die Nase voll. Wer will schon acht Wochen lang überwiegend allein zu Hause sein? Wobei das manchen Eltern, die eine neue Realität des Familienlebens auf begrenztem Raum arrangieren müssen, sogar als Privileg erscheinen mag. Der Mensch ist ein soziales Lebewesen, nicht geschaffen für dauerhaftes Social Distancing beziehungsweise Beschränkung auf den engsten Familienkreis – weder im Berufs- noch im Privatleben.

Ich halte die Prognosen einer von der Coronapandemie ausgelösten Zeitenwende für Unsinn. Ja, auf einer profanen Ebene wird sich einiges ändern: Der digitale Wandel, der längst im Gange war, beschleunigt sich und gewinnt an Breite. Kleinere Unternehmen kommen drauf, dass digitale Einkaufsplattformen nicht nur im internationalen Maßstab Sinn machen, sondern auch auf regionaler Ebene. Betriebe erkennen bislang ungenutzte Potenziale, ihre Produktivität zu erhöhen: zum Beispiel, wenn sich ihre MitarbeiterInnen teilweise die Wegzeit zum und vom Arbeitsplatz ersparen. Videokonferenzen können so manche teure Dienstreise ersetzen. Oder die Anreise zu einem Pressetermin. Vielleicht braucht es etwas weniger Büroflächen.

Das alles wäre sowieso gekommen, nur eben in kleineren Schritten. Viele Jobs – aber bei Weitem nicht alle! – können aufgrund neuer Technologien zunehmend zeit- und ortsunabhängig erledigt werden. Das löst eine gewisse Veränderung in den Unternehmenskulturen aus, ist aber keine Coronarevolution. Das Auftreten des Virus verdichtet nur die Entwicklung.

Wahrscheinlich werde ich künftig öfter einen Text bei einem Kaffee auf der Terrasse schreiben anstatt im Büro. Gut wird die Story aber nur werden, wenn ich davor Menschen getroffen, persönlich mit ihnen geredet, Stimmungen eingefangen, zwischen den Zeilen gelesen habe. Konsequentes Social Distancing hemmt Kreativität, Motivation, Lust und Innovation – und würgt damit den Wirtschaftsmotor ab. In allen Branchen und bei jeder Art von Tätigkeit, nicht nur im Journalismus.

Würde die neue Normalität, von der unsere Regierung so gern spricht, eine massive Beschränkung persönlicher Kontakte bedeuten, dann wird Wirtschaft nur noch auf Sparflamme funktionieren. Dann werden sich viele Leute nicht mehr überlegen müssen, wohin sich die Arbeitswelt entwickelt, weil sie keinen Job mehr haben. Wir müssen digitaler werden, aber ansonsten zur alten Normalität zurückkehren.

Andreas Lampl
Chefredakteur trend.
www.trend.at

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